In den letzten Jahren hat der Anstieg antisemitischer Gewalt in Europa an Aufmerksamkeit gewonnen, insbesondere im Kontext der aktuellen geopolitischen Entwicklungen. Dieser Artikel untersucht die länderübergreifenden Unterschiede und Gemeinsamkeiten antisemitischer Einstellungen sowie die Einflussfaktoren autoritärer Haltungen in vier europäischen Ländern: Deutschland, Österreich, Polen und Ungarn. Im Zuge der Analyse repräsentativer Umfragedaten aus einer Online-Studie zu „Autoritarismus, historischen Wahrnehmungen und demokratischen Dispositionen“ (2022) werden die soziodemografischen und politischen Determinanten antisemitischer Einstellungen identifiziert. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf den Einfluss von autoritären Einstellungen und sozialer Dominanz gelegt. Die Ergebnisse zeigen signifikante Unterschiede in den Einstellungen zwischen Deutschland, Österreich sowie Polen, Ungarn und verdeutlichen die Rolle von autoritären Einstellungsmustern in der Manifestation von antisemitischen Haltungen. Abschließend werden methodische Vorschläge für notwendige komparative Erhebungen zur Erfassung und zur Bekämpfung von Antisemitismus erörtert.
In recent years, the rise of anti-Semitic violence in Europe has gained attention, especially in the context of current geopolitical developments. This article examines the cross-national differences and similarities in anti-Semitic attitudes and the factors influencing authoritarian attitudes in four European countries: Germany, Austria, Poland and Hungary. By analysing representative survey data from an online study on “Authoritarianism, Historical Perceptions and Democratic Dispositions” (2022), the socio-demographic and political determinants of anti-Semitic attitudes are identified. Particular attention is paid to the influence of authoritarian attitudes and social dominance. The results illustrate significant differences in attitudes between Western and East-Central European countries and illustrate the role of authoritarian attitudes in the manifestation of anti-Semitic attitudes. Finally, methodological proposals for necessary comparative surveys to record and combat anti-Semitism are discussed.
Der Artikel untersucht die Berichterstattung über Israel und den israelisch-palästinensischen Konflikt in deutschen Print- und Onlinemedien mit einem Fokus auf israelbezogenen Antisemitismus. Dafür wurden mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse 122 Artikel aus regionalen und überregionalen Medien ausgewertet. Anhand von Textbeispielen werden wiederkehrende antisemitische Stereotype und Topoi identifiziert. Darunter fallen etwa NS-Analogien, die Dämonisierung Israels als amoralischer und verbrecherischer Staat, die Unterstellung israelischer Rachsucht und die Behauptung eines Kritiktabus. Diese Befunde werden mit den Ergebnissen früherer Forschungsarbeiten zu deutschen Print- und Onlinemedien sowie zu Medien aus anderen Ländern verglichen. Dabei zeigen sich (Dis-)Kontinuitäten und Ähnlichkeiten, es wird aber auch deutlich, dass es weiterer, systematischer Analysen bedarf, um etwa mögliche Auswirkungen des 7. Oktobers 2023 auf die Berichterstattung beurteilen zu können.
The article examines reporting on Israel and the Israeli-Palestinian conflict in German print and online media with a focus on Israel-related antisemitism. Therefore, 122 articles from regional and national media were analyzed using a qualitative content analysis. Recurring antisemitic stereotypes and tropes were identified on the basis of text examples. These include analogies to National Socialism, the demonization of Israel as an amoral and criminal state, the insinuation of Israeli vindictiveness and the assertion of a taboo on criticism. These findings are compared with the results of earlier research on the subject and with the situation in other countries. (Dis-)Continuities and similarities emerge, but it also becomes clear that further systematic analysis is needed to assess the impact of October 7, 2023, on reporting.
Der 7. Oktober 2023 und der Krieg in Israel und Gaza führt(e)n auch in Deutschland und Österreich zu einem sprunghaften Anstieg antisemitischer Vorfälle, die von unterschiedlichen politischen Hintergründen ausgehen und sich in Formen wie israelbezogenem Antisemitismus und Post-Schoa-Antisemitismus ausdrücken. Die Instrumente der polizeilichen Erfassung antisemitischer Straftaten helfen nur bedingt, das Ausmaß und die Qualität antisemitischer Aussagen und Handlungen abzubilden. Vor dem Hintergrund des enormen Dunkelfelds antisemitischer Straftaten und des fehlenden Vertrauens von Betroffenen in die Strafverfolgungsbehörden führte der Bundesverband RIAS im Jahr 2022 im Zuge des Projekts „Austausch von Polizei und Zivilgesellschaft zu Antisemitismus“ Expert_inneninterviews. Diese werden herangezogen, um die Grenzen und Leerstellen der polizeilichen Erfassung antisemitischer Straftaten in Deutschland zu beleuchten, wobei insbesondere die strukturellen Hürden und das der deutschen Polizei zugrunde liegende Verständnis von Antisemitismus sowie die individuelle Sensibilität der Befragten für das Thema in den Blick genommen werden.
October 7, 2023 and the war in Israel and Gaza also led to a sharp rise in anti-Semitic incidents in Germany and Austria, which originate from different political backgrounds and are expressed in forms such as Israel-related anti-Semitism and post-Shoah anti-Semitism. The instruments used by the police to record anti-Semitic crimes only help to a limited extent to map the extent and quality of anti-Semitic statements and actions. Against the background of the enormous dark field of anti-Semitic crimes and the lack of trust of those affected in the law enforcement authorities, the federal association RIAS conducted expert interviews in the project ”Exchange between Police and Civil Society on anti-Semitism” in 2022. These are used to shed light on the limits and gaps in the police‘s recording of anti-Semitic crimes in Germany, with a particular focus on the structural hurdles and the German police‘s underlying understanding of anti-Semitism as well as the individual sensitivity of the interviewees about the topic of anti-Semitism.
In den Antworten zu den Faith Development Interviews (FDI), die seit 2003 von der Forschungsstelle zur Biographischen Religionsforschung der Universität Bielefeld durchgeführt werden, finden sich bei den beiden Fragen, die auffordern, das Böse in der Welt zu erklären und nach der Lösung für Konflikte zu suchen, die auf religiöser oder weltanschaulicher Uneinigkeit beruhen, häufig Rekurse auf den Nahostkonflikt. Beiden Fragen ist gemeinsam, dass sie darauf abzielen, anomische Phänomene, in denen die Ordnung des eigenen Lebens nicht mehr sinnvoll erfahren werden kann, zu erklären. Die Forschungsnotiz analysiert, welche Funktion der Bezug auf den Nahostkonflikt für die Welterklärung der Befragten hat und was mit diesen Bezügen plausibel gemacht werden kann: Erstens ermöglicht der Nahostkonflikt als Beispiel für einen unlösbaren Konflikt eine Vielzahl von Projektionen und schützt damit die Widerlegung des eigenen weltanschaulichen Problemlösungsideals. Zweitens unterstreicht die Identifikation der Konfliktpartei Israel mit dem Bösen die Funktion des israelbezogenen Antisemitismus als Welterklärung.
In the Faith Development Interviews (FDI), which have been conducted by the Research Center for Biographical Studies in Contemporary Religion at Bielefeld University since 2003, anwers to questions that ask respondents to explain the presence of evil in the world and to search for a way of re-solving conflicts of ideological and religious disagreements often reference to the Middle East conflict. What both questions have in common is that they aim to explain anomic phenomena in which the order of one‘s own life can no longer be experienced in a meaningful way. The research note analyses what function this relatedness to the Middle East conflict has for the interviewees‘ explanations of the world. What can be made plausible with such references? Firstly, the Middle East conflict as an example of unsolvable conflict enables a multitude of projections, thus protecting the refutation of one‘s own problem-solving ideal of one‘s worldview. Secondly, the identification of the conflict party Israel with evil underlines the function of Israel-related anti-Semitism as an explanation of the world.
Der wissenschaftliche Kommentar diskutiert die Verbreitung antisemitischer Einstellungen in der Mitte der deutschen wie auch österreichischen Gesellschaft und leitet aufgrund differenter Studienergebnisse Anforderungen an schulische Antisemitismus-Prävention ab. Die erste zentrale Fragestellung untersucht, ob antisemitische Einstellungen als Randphänomen zu betrachten oder in der Meinung der gesellschaftlichen Mitte zu verorten sind. Anhand von Statistiken und Studien zu antisemitischen Straftaten und Einstellungen wird aufgezeigt, dass der Antisemitismus in Deutschland und Österreich kein Randphänomen darstellt, sondern in Teilen der gesellschaftlichen Mitte verankert ist. Darauf aufbauend ist Untersuchungsgegenstand der zweiten zentralen Fragestellung, ab welcher Klassenstufe schulische Präventionsmaßnahmen gegen Antisemitismus berechtigt sind. Das Potenzial der schulischen Präventionsarbeit als Interventionsmöglichkeit wird dabei analysiert, die Bedeutung der Medienkompetenzförderung im Präventionsansatz erläutert und es werden frühzeitige Präventionsansätze, beginnend ab der ersten Klasse, empfohlen, um antisemitischen Überzeugungen frühestmöglich entgegenzuwirken. Im Fazit werden konkrete Forderungen sowie Handlungsempfehlungen an Schulen, die Gesellschaft und die Politik formuliert, um Antisemitismus durch Präventionsmaßnahmen nachhaltig zu bekämpfen.
The scholarly commentary discusses the prevalence of anti-Semitic attitudes within the centre of German and Austrian society and derives requirements for school-based anti-Semitism prevention from various study findings. The first central question investigates whether anti-Semitic attitudes should be regarded as a fringe phenomenon or located within the views of the societal mainstream. By means of statistics and studies on anti-Semitic, this commentary demonstrates that anti-Semitism in Germany and Austria is not a marginal issue, but rather embedded in parts of the centre of these societies. Building on this, the second central question examines at which grade level school-based prevention measures against anti-Semitism are justified. The potential of school prvention work as an intervention strategy is analyzed, the importance of promoting media literacy in the prevention approach is explained, and early prevention strategies, starting from the first grade, are recommended for countering anti-Semitic beliefs as early as possible. In conclusion, specific demands and action recommendations are formulated for schools, society, and policymakers to com- bat anti-Semitism sustainably through prevention measures.
Diese Dokumentation bezieht sich auf jene fünf Beiträge zu Antisemitismus, die in den ersten beiden Ausgaben 0/1987 und 1/1987 der SWS-Rundschau erschienen sind. Dabei geht es um eine groß angelegte österreichische Meinungsumfrage von sieben Instituten zu Antisemitismus in Österreich, die zwischen November 1986 und März 1987 durchgeführt wurde, und damals offenbar auf wissenschaftliche und öffentliche Kritik stieß. Anlass für die Antisemitismus-Umfrage waren die Auseinandersetzung um die Kriegsvergangenheit des von der ÖVP unterstützten Bundespräsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim und die im Zuge dieser Kontroverse thematisierten Fragen des Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und einer möglichen Nähe zu Kriegsverbrechen. Aufgrund des Umstands, dass die Kritik an Waldheim auch vom Jüdischen Weltkongress artikuliert wurde, ließen sich in der damaligen Auseinandersetzung und im Wahlkampf für die Bundespräsidentschaft (1985/1986) auch antisemitische Inhalte und Argumente identifizieren.