Heft 4 / 2008: "offenes Heft"

Peter Filzmaier / Flooh Perlot

Abstracts

Im Schatten des Nationalrats? Die Spannung der Landtags- und
Gemeinderatswahlen 2008

In Österreich brachte das Jahr 2008 mit den Landtagswahlen in Niederösterreich und Tirol zwei wesentliche politische Entscheidungen neben der kurzfristig vorgezogenen Nationalratswahl. Bereits zu Jahresbeginn hatte auch Graz einen neuen Gemeinderat gewählt. Bei allen drei Wahlen kam es zu massiven Stimmenverschiebungen zwischen den Parteien. Trotzdem waren die Konsequenzen für die jeweiligen Machtverschiebungen gering. Der Beitrag fasst Ergebnisse und Wählerströme zusammen und interpretiert bzw. vergleicht das Wahlverhalten nach soziodemographischen Kriterien. Zusätzlich analysiert werden die jeweiligen Wahl- und Nichtwahlmotive. Die zentralen Erkenntnisse umfassen eine im Wesentlichen auf die WählerInnen von FPÖ und Grünen reduzierte Geschlechterkluft, eine wachsende Unberechenbarkeit von Präferenzen der WählerInnengruppen mittleren Alters und die daraus entstehenden Wettbewerbsräume für neue Parteien.

Overshadowed by the Austrian Nationalrat? Tensions of Austrian
State and Local Elections in 2008

In addition to advanced federal elections, two important political events shaped Austria in 2008. State elections were held in Lower Austria and Tyrol, and Graz elected a new municipal council already in January. Although the results hardly changed the respective governments in power, many votes were swapped between the parties in all of these elections. The article summarizes the election results and voter transition analyses, and compares socio-demographic characteristics of the voting behaviour. Voting motives also are being addressed, as are the reasons for non-voting. The main findings suggest a shrinking gender gap in Austria (only still valid for voters of the Freedom Party and of the Greens), a growing volatility among middle-aged voters, and subsequently emerging spaces for new parties.

Marion Löffler

Abstracts

Formalisierte Informalität? Wie das Leitbild Wissenschaftsgesellschaft
Karrierebedingungen von Frauen an Universitäten verändert

Die Ziele eines Europäischen Hochschul- und Forschungsraums sowie eines wissensbasierten Wirtschaftsraums führen zu einem Paradigmenwechsel der Wissenschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die sich am Leitbild der »Wissensgesellschaft« orientieren. Damit verändern sich auch in Österreich Karrierechancen von Frauen an Universitäten. Bisher galten informelle Arrangements im Wissenschaftsbetrieb als größte Hürde. Nun gewinnen jedoch Messbarkeit und Vergleichbarkeit und damit Formalisierung wissenschaftlicher Leistungen an Bedeutung. Diese Maßnahmen wissenschaftlicher Qualitätssicherung sollten Karrierebedingungen für Frauen an Universitäten verbessern, was der Artikel im Hinblick auf die Chancen von Frauen zur Erlangung einer Professur diskutiert. Gleichzeitig verändert sich die Universität als Arbeitgeberin und Arbeitsplatz. Doch Bedingungen der Leistungserbringung finden in formalen Beurteilungskriterien keine Berücksichtigung. Dies birgt die Gefahr, informelle Arrangements zu Leistungsstandards zu erheben. Um eine solche »formalisierte Informalität« zu verhindern und die für Frauen positiven Effekte der Formalisierung sicherzustellen, muss daher ein gender-relevantes (die Bedeutung von Geschlecht berücksichtigendes) Qualitätsmanagement insbesondere in Berufungsverfahren umgesetzt werden.

Formalized Informality? How the Model of Knowledge Society Changes
Academic Career Conditions of Women at Universities 

The objectives of creating a European higher education and research area as well as a knowledgebased economy area cause a shift in the paradigms of science policy and labour market, which are now oriented in favour of a »knowledge society«. This induces (also in Austria) changes of career patterns of women at universities. Up until now, informal arrangements in the sciences were being regarded as the leading obstacle. But now, measurement and comparability and therefore the formalization of scientific performance gain in importance. These measurements of quality assurance in the sciences supposedly should improve career conditions of women at universities, which are being discussed in the article regarding the chances of women of becoming professors. At the same time, the university as an employer and as a workplace also is changing. But working conditions are not part of those formal criterions that are applied to assess scientific performance. So there is a risk that informal arrangements are translated into quality standards. In order to prevent such a »formalized informality« and to secure positive effects of formalization for women, a gender-relevant quality management, especially when appointing professors, must be implemented.

Stefan Lücking / Susanne Pernicka

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Der Kampf um »geistige Eigentumsrechte« am Beispiel der Europäischen Richtlinie über Softwarepatente

In der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die Neudefinition geistiger Eigentumsrechte in der Europäischen Union spielen die Gewerkschaften bisher kaum eine Rolle. Dabei wirkt sich die Ordnung des sog. Immaterialgüterrechts unmittelbar auf die Rechte von ArbeitnehmerInnen und Selbstständigen und auf das Kräfteverhältnis von Arbeit und Kapital aus. Der Beitrag zielt darauf ab, eine theoretisch-konzeptionelle Einbettung des Immaterialgüterrechts im arbeitsweltlichen Wandel in Richtung Dienstleistungs- und Wissenschaftsgesellschaft vorzunehmen. Am Beispiel der Software-Entwicklung wird aufgezeigt, wie Unternehmen versuchen, sich die Arbeit von ProgrammiererInnen anzueignen und diese zu kontrollieren. Dabei fragen wir nach der Interessengenese auf EU-Ebene sowie nach der Rolle und dem Verhalten von deutschen und österreichischen Arbeitnehmervertretungen. Wir kommen zum Schluss, dass weder die Bedeutungszunahme von Wissensarbeit noch die Entwicklung neuer Konfliktlinien zwischen Arbeit und Kapital bisher umfassende Antworten der Gewerkschaften hervorgerufen haben.

The Fight for »Intellectual Property Rights« – the Example of the European Directive on Software Patents

In the current public debate about a reform of EU intellectual property rights the trade unions hardly play any role. However, the newly proposed amendments will have an impact on employed and self-employed workers as well as on the power relationship of labour and capital. The article intends to contribute a theoretical discussion about intellectual property rights issues in context of labour market changes towards a service-oriented and knowledge-based society. Using the example of software development, the contribution demonstrates what types of strategies companies apply to control and exploit programmers. These issues are dealt with by focusing on interest formation processes at EU-level and the role and behaviour of German and Austrian unions. We conclude that the responses of the unions towards the growing importance of knowledge work and the emergence of new conflicts between labour and capital remain incomprehensive.

Günther Sandner

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Demokratisierung durch Bildpädagogik – Otto Neurath und Isotype

Ab Mitte der 1920er-Jahre entwickelte der Soziologe und Ökonom Otto Neurath (1882 bis 1945) die »Wiener Methode der Bildstatistik«, die insbesondere in der Zeit seiner Emigration (1934 bis 1945) zu einer umfassenden Bildpädagogik erweitert wurde und unter dem Namen »Isotype« (International System of Typographic Picture Education) auch internationale Dimension erlangte. Das Ziel, diese Bildersprache zu einem zentralen Instrument der interkulturellen Verständigung und Demokratisierung des Wissens zu machen, wurde jedoch nur zum Teil erreicht. Der Beitrag gibt einen Überblick zur Geschichte der Neurathschen Bildpädagogik, erläutert die Besonderheiten von Isotype und der bildstatistischen Methode und versucht, deren aktuelle Bedeutung zu bestimmen. Drei Gründe werden schließlich dafür genannt, warum nur eingeschränkt von einem nachhaltigen Erfolg von Neuraths Bemühungen gesprochen werden kann: die enge Koppelung des Projekts an seine Person, der veränderte mediale, gesellschaftliche und politische Kontext, sowie ein zu wenig differenziertes Verständnis der Kontextualität und Manipulierbarkeit von Bildern.

Democratisation by Pictorial Pedagogy – Otto Neurath and Isotype

From the mid-1920s onwards, the sociologist and economist Otto Neurath (1882–1945) developed the »Vienna method of pictorial statistics«. During the time of emigration (1934–1945), the method turned into an International System of Typographic Picture Education (Isotype), which attracted international recognition. However, Neurath intended to create the pictorial language as an instrument for both intercultural communication and democratisation. This project only could be achieve in parts. At first, the essay provides an overview of the history of Neurath’s pictorial pedagogy. Afterwards, the distinctive features of Isotype and the method of pictorial statistics are being discussed, where the article attempts explaining the current relevance. Three reasons are emphasized, why Neurath’s efforts were not fully successful: first, the close interconnection between the project and the person; second, the changing media, societal and political contexts; and finally Neurath’s less developed understanding of the contextuality and manipulability of pictures.

Franz Seifert

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Einhellige Abschottung und globalisierungskritische Bauernrevolte –Widerstand gegen die grüne Gentechnik in Österreich und Frankreich

Diese Studie vergleicht zentrale Akteure und Mobilisierungsstrategien der Bewegungen gegen landwirtschaftliche (grüne) Gentechnik in Österreich und Frankreich. Beide Länder zählen in punkto öffentlicher Meinung wie auch Regierungspolitik zu den exponierten Gentechnik-Ablehnungsländern der EU, jedoch unterscheiden sich die jeweiligen Protestbewegungen markant: In Österreichs Anti-Gentechnikbewegung agieren professionelle Umweltorganisationen als zentrale Akteure, während kritische bäuerliche Gruppierungen im Hintergrund bleiben. Im Gegensatz dazu stehen in Frankreich bäuerliche Akteure an vorderer Front einer fortdauernden, radikalen Protestbewegung gegen die grüne Gentechnik. Die Gegenüberstellung illustriert die Vielfalt neuer sozialer Bewegungen, die besondere Rolle von bäuerlichen Akteuren sowie die Effekte der Anti-Gentechnikbewegungen auf die nationale Gentechnikpolitik. Die Analyse betont die Bedeutung nationaler Landwirtschaftspolitiken im Kontext der Mehrebenenpolitik der EU und zeigt Wege zur Beurteilung der beiden konträren Bewegungsformen auf.

Consensual Resistance and Farmers’ Protest against Globalisation –Resistance against Agrarian (Green) Biotechnology in Austria and France

The article compares key actors and mobilization strategies of the Austrian and French antibiotechnology movements. While, regarding public opinion and government policy, both countries are among the EU’s most avid biotechnology opponents, their national protest movements are characterized by striking differences: In the Austrian case, professional environmental organisations are vocal in public debate while groups of critical farmers work rather behind the scenes. In France, by contrast, peasant activists lead a radical protest movement that looms large to this day. The comparison sheds light on the diversity of new social movements in general, and on the impact of rural actors and agricultural policies on anti-biotechnology movements in more particular. This highlights the significance of national agricultural policies in context of EU multi-level governance and assesses two contrary national movements.

Marc Bittner

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Arbeitsmarktmonitoring LAMO I & II – Konzept und Ergebnisse eines Instruments der Arbeitsmarktbeobachtung in den Grenzregionen der Slowakei, Tschechiens und Ungarns mit Österreich

Im Zuge der EU-Erweiterungsrunde des Jahres 2004 wurde den Auswirkungen des Beitritts von zehn Staaten auf die Arbeitsmärkte der »alten« EU-Staaten (EU-15) besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Der vorliegende Beitrag beschreibt die Methodik und ausgewählte Ergebnisse der vor diesem Hintergrund 2003 bis 2007 durchgeführten Projekte LAMO I & II (»Arbeitsmarktmonitoring«). Diese Projekte dienten der regelmäßigen Beobachtung des Arbeitsmarkts in den Grenzregionen Österreichs, der Slowakei, Tschechiens und Ungarns, wobei ein besonderer Fokus auf der Analyse potenzieller Arbeitsmigrationsströme nach Österreich lag. Der Rückblick auf die Projektergebnisse im Zeitvergleich, die für die politische Entscheidungsfindung über die Verlängerung der »Übergangsfristen« zum Schutz des heimischen Arbeitsmarkts bis maximal 2011 besonders wichtig waren, wird ergänzt von einem Ausblick auf das 2008 begonnene Nachfolgeprojekt »Fachkräftemonitoring (FAMO)«.

Labour Market Monitoring LAMO I & II – Concept and Results of an Instrument for Monitoring the Labour Market in the Austrian Border Regions with the Slovak Republic, the Czech Republic and Hungary 

In the course of the EU enlargement in 2004, crucial attention was paid to the accession impact of ten new countries on the labour markets of the »old« EU member states (EU-15). Against this background the article describes methodology and some key results of the LAMO I & II (»Labour Market Monitoring«) projects, which were designed to observe regularly labour markets in the Austrian border regions with the Slovak Republic, the Czech Republic and Hungary. A particular focus was placed on the analysis of potential migration movements into the Austrian labour market. This review of the project results over time, which were of a significant importance for the political decision making concerning a prolongation of the »transition period« to protect the Austrian labour market until (at most) 2011, is being completed by an outlook on the follow-up project »Monitoring of Skilled Workers (FAMO)« that started in 2008.