Heft 4 / 2003: "Migration im mittel- und südosteuropäischen Raum"

Heinz Faßmann

Abstracts

Transnationale Mobilität. Konzeption und Fallbeispiel

Der vorliegende Artikel befasst sich mit transnationaler Mobilität als einem besonderen Typus einer internationalen Migration auf Zeit, bei dem die Verbindungen zur Herkunftsgesellschaft nicht abreißen, sondern über vielfältige Interaktionen gepflegt werden. Dieser spezifische Typus einer internationalen Migration wird konzeptionell vorgestellt, in die Entwicklungslinie gängiger
Wanderungstheorien gestellt und exemplarisch anhand einer Fallstudie über PolInnen in Wien auch empirisch belegt.

Susanne Binder / Jelena Tosic

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Flüchtlingsforschung. Sozialanthropologische Ansätze und genderspezifische Aspekte

In diesem Artikel werden relevante Ergebnisse der gegenwärtigen Flüchtlingsforschung als spezieller Teilbereich der Globalisierungs- und Migrationsforschung vorgestellt. Dabei werden zwei Schwerpunkte gesetzt: Zum einen wird die These vertreten, dass insbesondere die sozial- und kulturanthropologische Forschung das Klischee von Flüchtlingen als „passive HilfsempfängerInnen“ durchbrochen und auf die wesentliche Bedeutung eines Aktiv-Seins für Menschen während und nach der Flucht hingewiesen hat. Zum anderen werden frauenspezifische Fluchtgründe und die Anerkennung von frauenspezifischen Verfolgungsformen erläutert. Abschließend werden genderspezifische Aspekte mit Fallbeispielen aus empirischen Studien der beiden Autorinnen näher ausgeführt.

Ruth Krcmar

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„Emigration zurück nach Hause“. Eine empirische Analyse der Rückkehr tschechischer EmigrantInnen nach dem Systemumbruch 1989

Thema dieses Aufsatzes ist die nach der „Samtenen Revolution 1989“ erfolgte Rückkehr tschechischer EmigrantInnen zweier Generationen, die nach der sowjetischen Okkupation 1968 das Land zumeist illegal verlassen hatten. Während die erste (ältere) Generation eine Rückkehr und danach eine Reintegration in eine vertraute Umgebung erlebte, stand der zweiten (jüngeren) Generation, die nicht oder nur sehr kurz im Herkunftsland ihrer Eltern gelebt und den Großteil ihres Lebens in der Emigration verbracht hatte, eine Einwandererintegration im Sinn einer Anpassung an ein anderes gesellschaftliches System bevor. Veränderte gesellschaftliche Umstände sowie jene Veränderungen, die man selbst in der Emigration erfahren hatte, trugen dazu bei, dass die untersuchten tschechischen EmigrantInnen der ersten Generation ihre Remigration nicht als völlige Heimkehr, sondern vielmehr als neuerliche Emigration in eine Heimat erlebten: von dieser hatten sie sich – ebenso wie ihre Heimat von ihnen – bereits deutlich entfernt. Bei der zweiten Generation beeinflusste vor allem der Grad der Freiwilligkeit ihrer Rückkehr die Integration in die tschechische Gesellschaft ebenso positiv wie die Sprachbeherrschung und die Aufnahme durch die tschechische Gesellschaft. Aufgrund der in dieser Gruppe vorherrschenden Tendenz zur Selbstdistanzierung von dieser Gesellschaft und ihrem Wertesystem kann nicht von einer vollständigen Integration der zweiten Generation in die Aufnahmegesellschaft gesprochen werden.

Daniel Satra

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Ukrainische ArbeitsmigrantInnen in der Tschechischen Republik. Bedingungen, Formen und Strukturen einer neuen Ost-West-Migration

Der politische Umbruch in Ost- und Ostmitteleuropa zu Beginn der 1990er-Jahre löste eine neue Reisefreiheit aus, die auch eine rasche Zunahme neuer Wanderungsbewegungen in Europa, vornehmlich in westlicher Richtung, mit sich brachte. Trotz Abschottungsmaßnahmen von Seiten der EU lassen sich vor allem temporäre und zirkuläre Formen wirtschaftlich motivierter Migration in den ostmitteleuropäischen Kandidatenländern der EU-Osterweiterung 2004 beobachten. In diesem Artikel sollen am Beispiel ukrainischer ArbeitsmigrantInnen in der Tschechischen Republik die Bedingungen, Formen und Strukturen dieser neuen Wanderungsprozesse verdeutlicht werden: Seit Mitte der 1990er-Jahre konnte sich die wirtschaftlich motivierte Zuwanderung ukrainischer BilligarbeiterInnen zu einer Konstante in der Tschechischen Republik entwickeln. Neben politischen Zuwanderungsregulierungen und den Rahmenbedingungen des tschechischen Arbeitsmarktes behandelt der Beitrag vor allem die Bedeutung informeller Netzwerke und kommerzieller Arbeitsvermittlungen für die ukrainische Arbeitsmigration.

Nadja Lamei

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Europäische Integration und europäische Identität. Theoretische Konzepte – empirische Ergebnisse für Österreich

Der Artikel präsentiert vor dem Hintergrund soziologischer Theorien zur europäischen Identität Daten über die Europaverbundenheit der ÖsterreicherInnen. Zunächst werden theoretische Konzepte vorgestellt, die sich grundsätzlich zu deren Beschreibung eignen: die auf Simmel zurückgehende Theorie der multiplen Identitäten, Tajfels und Turners „Social Identity“-Theorie sowie Festingers Gedanken zum Sozialen Vergleich. Anschließend wird untersucht, welche Rahmenbedingungen für eine europäische Identität gegeben sind bzw. welche nötig wären. Als prinzipielle Möglichkeiten von Identitätsinhalten werden politische und kulturelle Identitäten kontrastiert. Der Beitrag kommt zur Schlussfolgerung, dass eine europäische Identität wohl eher als eine politische möglich ist. Im nachfolgenden empirischen Teil werden schließlich Eurobarometer-Daten der letzten Jahre analysiert und dahingehend interpretiert, dass die europäische Identität der ÖsterreicherInnen, so überhaupt vorhanden, v. a. von der stärkeren nationalen Identität bestimmt ist. Die Daten belegen, dass die nunmehr neunjährige Mitgliedschaft Österreichs in der EU zu keiner Intensivierung der emotionalen Bindung an die EU beigetragen hat.