Heft 3 / 2015: "Der ländliche Raum als Wohn- und Arbeitsort"

Marcus Heinz

Abstracts

Neues Leben in alten Dörfern? Eine rekonstruktive Analyse der Aneignung ländlicher Räume

Ländliche Räume sind im Wandel. Betrachtet man diesen Prozess soziologisch, ist es aufwändig, eine passende Beobachtungskategorie für das »Land« oder das »Ländliche« zu finden. Der Artikel setzt hier an und entwirft einen raumsoziologischen Zugang für Ländlichkeitsentwürfe. Anschließend werden anhand qualitativer Daten Aneignungsprozesse von auf das Land ziehenden AkteurInnen rekonstruiert. Im Ergebnis stehen drei voneinander abgrenzbare Phasen der Aneignung, in welchen die AkteurInnen vorhandene Ländlichkeitsdeutungen aufnehmen und diese mit eigenen Elementen ergänzen oder revidieren. So wird gezeigt, dass es sich beim lebensweltlichen Umgang mit Ländlichkeit nicht nur um hoch komplexe Deutungen handelt, sondern dass auch eine Vielzahl räumlicher Entwürfe des Ländlichen parallel existiert. Abschließend kann dann die akteursgeleitete Abgrenzung räumlicher Entwürfe als Kernelement der Raumproduktionen festgehalten werden.

New Life in Old Villages? A Reconstructive Analysis of Appropriation Processes of Rural Spaces 

Rural spaces are changing. To work on this observation from a sociological perspective, it takes efforts to find a proper analytical category for »rural« or »rurality«. Acknowledging this, the article is interested in developing a space-related sociology, to understand constructions of rurality. Afterwards, qualitative data are being used for analysing processes of appropriation of rural spaces by in-migrants. Three divergent phases of appropriation are re-constructed, which show how actors adopt constructions of rurality, add their own ideas or revise these. It is shown that a lifeworld-based dealing with the rural does not only involve a complex meaning, but that it is also evident that different spatial concepts of the rural exist at the same time. The final result is a distinctive positioning of constructions of rural spaces by in-migrants.

Waldemar Vogelgesang / Johannes Kopp / Rüdiger Jacob / Alois Hahn

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Urbane Dörfer. Räumliche Entgrenzungsprozesse und parzellierte Gemeinschaftsformen

A-Dorf liegt im Einzugsgebiet von zwei Großstädten und besteht seit dem Jahr 953. Ursprünglich und für den größten Teil seiner Geschichte war das Dorf eine bäuerliche Siedlung, hat aber seit den 1950er-Jahren einen deutlichen sozialstrukturellen Wandel durchgemacht. Die Einwohnerschaft hat sich seit den 1970er-Jahren durch Neubaugebiete nahezu verdoppelt. Insbesondere die Zugezogenen weisen eine eher pragmatische, zweckrationale Ortsbindung auf und sind überlokal orientiert. Ihr Lebens- und Aktionsraum geht weit über die Grenzen des Dorfes hinaus. Dies hat auch Konsequenzen für dörfliche Formen der Gemeinschaftsbildung, die inzwischen weit stärker Ergebnisse von individuellen Selektionen sind und nicht mehr durch Strukturen des Kontextes erzwungen werden. Sehr deutlich wurde dies z. B. bei den Beziehungen zu Nachbarn/ innen oder dörflichen Vereinen und Interessengruppen. »Die« Dorfgemeinschaft im Singular wird ersetzt durch interessenspezifische Teilgemeinschaften.

Urban Villages. Removing of Spatial Barriers and Parceled Types of Community

»A-Village« is located in the catchment area of two major cities and exists since 953. Originally, and for the most part of its history, it was a rural village, but since the 1950s it went through a major change concerning its social structure. The number of inhabitants has almost doubled since the 1970s, due to housing estates. Especially the recent settlers have a more pragmatic and function-guided binding to the village and are globally orientated. Their space of living and action exceeds the narrow boundaries of the village to a greater extent. These facts have consequences for the way of forming communities, and are less the implications of contextual structures, but reflect more results of selections by individuals. This is evident, for example, in the case of relations with neighbours or associations and interest groups. The »village-community« in the singular is being replaced by segmented communities, which are being formed to serve special interests.

Kathrin Gruber / Elisabeth Gruber

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Aktives Altern in der Region Schneebergland. Gesellschaftliche Herausforderungen des demografischen Wandels in ländlichen Regionen

Der Anteil der älteren Bevölkerung in Österreich wächst. Vor allem in ländlichen Regionen, die von Abwanderung betroffen sind, steigt der Prozentsatz von Personen im Alter über 65 Jahren an. Herausforderungen wie gesundheitliche Einschränkungen und erschwerte individuelle Mobilität, die das Alter mit sich bringen, lassen sich dabei vor allem in Orten mit ausgedünnter Infrastruktur und Versorgungseinrichtungen nur schwer überwinden. Im vorliegenden Beitrag werden einerseits Herausforderungen des demografischen Wandels mit dem Fokus auf ländliche Regionen präsentiert, andererseits wird dargestellt, welche Rolle Gebietskörperschaften spielen können, um diese zu meistern. Am Beispiel der Kleinregion Schneebergland werden Ergebnisse aus dem EU-geförderten Projekt »Active Ageing«, in welchem die Herausforderungen des Älter-Werdens intensiv behandelt wurden, präsentiert.

Active Ageing in the Region of Schneebergland. Challenges of the Demographic Change for Societies in Rural Areas

The proportion of the elderly population is growing in Austria. Especially in rural areas, which are affected by outmigration, the share of people, aged over 65 years, is steadily increasing. Challenges, for example poor health and restricted individual mobility, which arise and correlate with progressing age, are bidding defiance to local communities, particularly in areas with deficient infrastructure and supplies. In this article, challenges of demographic change in rural areas are being presented, as well as the role that municipalities can play in mitigating these. By using the example of the region of »Schneebergland«, results from the EU-funded project »Active Ageing«, which emphasized clearly the needs for action addressing the ageing, will be discussed further.

Mathilde Schmitt / Gertraud Seiser / Theresia Oedl-Wieser

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Das Ländliche und die Land_Frauen. Sozialwissenschaftliche De_Re_Konstruktionen

Das Ländliche wird vielfach als das Andere zur Stadt konstruiert, mit Entwicklungsrückstand assoziiert oder zum Sehnsuchtsort hochstilisiert. Land_Frauen werden selbst in feministischen Diskursen abgewertet oder ignoriert. Die Dichotomisierung von Stadt und Land, Homogenisierungen und Ideologisierungen von Seiten der Wissenschaft, Politik, Verwaltung und der Medien tragen maßgeblich dazu bei. Mittels der poststrukturalistischen Konzepte der Konstruktion, Dekonstruktion und Rekonstruktion wird in diesem Essay das Wechselverhältnis von Subjekten und Strukturen in ländlichen Regionen beleuchtet und darüber reflektiert, wie ländliche Sozialforschung und rurale Geschlechterforschung zu einem (selbst-) kritischen Diskurs beitragen können.

The Rural and the Rural Women. De-Constructions and Re-Constructions in the Social Sciences

The rural is often constructed as the opposite to the urban, associated with lagging behind or idolized as a place of nostalgia. Rural women were – even in feminist discourses – devalued or ignored. These tendencies are intensified by science, politics, administration and the media by ideologizations, the homogenizing of society and the dichotomization of the urban and the rural. Using the post-structural approaches of construction, deconstruction and reconstruction, this essay examines closely the reciprocal relationship between rural subjects and structures. It reflects how rural social research and rural gender studies can contribute to a (self-) critical discourse.

Daniel Bell / Elke Sumper

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Die Haltestelle als Ausgangspunkt für gleichberechtigte Mobilität im ländlichen Raum

Vor dem Hintergrund siedlungsstruktureller Entwicklungen, divergierender Lebensstile und soziostruktureller Veränderungen gilt es, den markanten Unterschieden im Angebot an Versorgungseinrichtungen, Arbeitsplätzen, Ausbildungseinrichtungen, etc. zwischen ländlichem und urbanem Raum durch innovative und nachhaltige Mobilitätskonzepte zu begegnen. Im Folgenden werden anhand sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden Mobilitätsbedürfnisse unterschiedlicher NutzerInnengruppen sowie alternative Mobilitätskonzepte in Hinblick auf Umsetzungspotenziale untersucht. Zentraler Ansatzpunkt ist die strukturierte Erfassung der Bedeutung der Haltestelle als Zugangspunkt zu diesen alternativen Transportformen, vor allem im ländlichen Raum. Auf Grundlage von Sozialraumanalysen in unterschiedlichen Raumtypen werden vielversprechende Konzepte sowie Anforderungen an eine für alle nutzbare Infrastruktur diskutiert.

The Public Transport Stop as an Access Point for Equal Mobility in Rural Areas

The development of recent settlement structures, highly diverse lifestyles and socio-structural changes have lead to significant differences between urban and rural areas in Austria in regards to the availability and supply of services and goods. Here innovative mobility concepts can serve as a basis for the sustainable development of peripheral and rural areas. Based on socio-scientific methodology mobility needs of different user groups are assessed in reference to innovative and sustainable mobility concepts. Main point of interest is the evaluation of public transport stops as the central access point to alternative forms of transportation, especially in rural areas. By conducting social space analyses in different settlement structures most promising transport concepts and requirements, in view of accessible infrastructure, are discussed.